Weltkulturerbe sucht Retter – Ungewisse Zukunft für die weltweit letzte aktive Schriftgießerei
Im Jahre 1986 zog die bekannte Schriftgießerei D. Stempel AG von Frankfurt nach Darmstadt in den Anbau der Zeppelinhalle in der Landwehrstraße. Die Haasische Gießerei Fruttiger AG besaß damals 75 Prozent, die Schriftgießerei Gerstenberg GmbH die restlichen 25 Prozent der Anteile. Elf Jahre später wurde der Standort in die Kirschenallee in das Haus für Industriekultur (HIK) – die Außenstelle des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (HLMD) für die Abteilung Schriftguss, Satz und Druckverfahren – verlagert.
Im Gebäude befindet sich unter anderem auch der Nachlass der einstmals größten Schriftgießerei Europas – der Stempel AG – bei der Rainer Gerstenberg 1961 als Schriftgießer begann. Im März 2012 kaufte Gerstenberg alle Schriften und Gießmaschinen, nachdem die Firma von Fruttiger im Jahr zuvor liquidiert wurde.
In seiner Werkstatt produziert er neben den klassischen Bleitypen auch Prägetypen, Kurztypen und Schmuckelemente. Wer sich für die Arbeit in einer Schriftgießerei interessiert, kann diese nach Voranmeldung jederzeit besuchen.
Wer weniger Zeit investieren möchte, dem bieten die fünf kurzen Dokumentationsfilme, die das Offenbacher Klingspor Museum in der Playlist „Schriftgießerei Rainer Gerstenberg“ in seinem YouTube Kanal veröffentlicht hat, einen guten Eindruck. Mit viel Herzblut beschreibt Rainer Gerstenberg die Maschinen, Materialien und Arbeitsschritte einer Schriftgießerei. Übrigens befinden sich auch die letzten Matern (Gießformen) der Schriftgießerei Klingspor im Landesmuseum.
Schließung droht
Nun, nach 26 Jahren, möchte Rainer Gerstenberg den Betrieb seiner Schriftgießerei aus Altersgründen einschränken und hätte seine Werkstattausstattung gerne dem HLMD als Schenkung überlassen und eine Nachfolgerin eingearbeitet. Leider sieht das HLMD keine Möglichkeit, öffentliche Gelder für die benötigten personellen Kapazitäten, Museumsflächen, Depots und die wissenschaftliche Bearbeitung für deren Erhaltung zur Verfügung zu stellen. Daher hat das Museum Herrn Gerstenberg gebeten, die von ihm mietfrei genutzte dritte Etage des Hauses für Industriekultur bis Ende 2023 zu räumen.
In der Schriftgießerei werden nicht nur Hochdrucktypen für Hochschulen, Druckwerkstätten und Kunstschaffende weltweit produziert, sondern auch Prägetypen für Buchbinder und mehrere Zehntausend Buchstaben jährlich für den Etikettierdruck. Für alle wäre das Ende der kommerziellen Schriftgießerei ein großes Problem, da die Qualität des Gusses mit Maschinen aus Museumsbetrieben für deren Anforderungen nicht ausreichend ist. Daher sind die Bemühungen groß, eine Lösung zur Erhaltung der Werkstatt zu finden.
Petition als Rettung?
So schreibt beispielsweise Michael Brust, Schriftsetzer und Geschäftsführer einer Kemptener Druckerei,: „Willkommen ist alles, was dazu dient, die ,Entsorgung‘ des Materials und der Maschinen zu verhindern“. Marcus Bonszkowski, Gesellschafter einer Offenbacher Druckmanufaktur, startete Ende Mai eine Petition zur Rettung der Schriftgießerei, die sich an Kulturstaatsministerin Claudia Roth sowie Angela Dorn, Ministerin für Wissenschaft und Kunst, wendet. Über 3.000 Personen haben bereits unterschrieben.
Auch der „Mainzer Impuls“ warnt vor dem „Untergang des Gutenberg’schen Erbes im Digitalzeitalter“ (Allgemeine Zeitung Mainz, 01.10.2020). Ob die Werkstatt aufgrund des vielschichtigen Engagements gerettet werden kann, ist fraglich. Möglicherweise wäre ein bleisatzaffiner Investor die Rettung für Gutenbergs Erbe.
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